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Interview zur Energiewende: „Wir müssen jetzt ganz schnell das Land verändern“

Können wir unsere Klimaziele überhaupt erreichen? „Die Lage ist nicht aussichtslos, stellt aber eine Herausforderung dar“, sagt der Erneuerbare-Energien-Experte Prof. Volker Quaschning im Interview.  

Sind die staatlichen Ausbauziele für Erneuerbare Energien überhaupt erreichbar und worauf kommt es dabei an? Welche Rolle wird grüner Wasserstoff im Energiemix spielen? Und wann sinken die Energiepreise endlich wieder? Fragen über Fragen. Wir haben sie gestellt und Volker Quaschning, Professor für Erneuerbare Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, hat geantwortet. In unserem Interview beschreibt er die wesentlichen Herausforderungen der Energiewende, zeigt Lösungen auf und spricht Klartext zu den gesellschaftlichen Veränderungen, denen wir uns stellen müssen.

Sonepar: Herr Prof. Quaschning, sind die durch die Bundesregierung gesetzten Ausbauziele für Erneuerbare Energien wirklich erreichbar, zum Beispiel im PV-Bereich 22 Gigawatt Peak p. a.?

Prof. Quaschning: Problematischer als der PV-Bereich ist die Windkraft, weil es da immer noch schleppend vorangeht. Bei der Solarenergie sehen wir 2022 eine deutliche Steigerung, erwarten etwa acht Gigawatt. Wir könnten dieses Jahr den höchsten Solarenergieausbau in der Geschichte Deutschlands verzeichnen, wenn auch nur knapp über 2012 und 2013. Das zeigt aber, dass die Richtung stimmt. Nur zwischen acht und über 20 Gigawatt liegt noch mal fast der Faktor drei. Und eigentlich reichen die 20 Gigawatt auch nicht, um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Wir müssten über 30 oder 40 Gigawatt reden, also noch einen Zacken zulegen. Das führt zu Fragen: Kommen wir an das Material? Haben wir genug Personen, die das machen können? Das ist nicht aussichtslos, aber eine Herausforderung.

Wirtschaftskrise in eine Win-win-Situation verwandeln

Nächstes Jahr kommt eine Wirtschaftskrise auf uns zu. Die können wir in eine Win-win-Situation verwandeln. Menschen, die ihren Job verlieren, können wir eine Perspektive bieten. Wenn wir das geschickt anfangen und im Aus- und Weiterbildungsbereich auch mit Bundesprogrammen diese Menschen auffangen, lassen sich viele Personallücken stopfen.

Nicht in die nächste Krisenabhängigkeit reinrutschen

Beim Material steigen die Preise auch für Solar. Das sorgt für mehr Anbieter. Schön wäre eine zunehmend europäische Produktion, weil wir gerade bei der Solartechnik noch abhängiger sind von Asien und China als beim Gas von Russland. Deswegen sollte man vorausschauend handeln und nicht in die nächste Krisenabhängigkeit rutschen.

In welchen Sektoren sehen Sie die Nutzung von Wasserstoff und wie bewerten Sie die Zukunftschancen zum Beispiel für den Individualverkehr?

Wasserstoff ist ein spannender Energieträger. Man kann damit fast alles machen, was ich auch mit Erdgas mache – und noch viel mehr. Aber ich kann ihn nicht gewinnen oder fördern. Ich muss ihn herstellen. Wenn ich das sauber machen will, brauche ich grünen Strom und Wasser, also große Mengen an Erneuerbaren Energien. Das wird eine gigantische Materialschlacht, weil ich sehr große Solar- und Windparks aufbauen muss. Und es wird teuer, weil ich sehr große Verluste habe.

„Wasserstoff ist der Champagner der Energiewende“

Dieser Aufbau wird in Deutschland nicht komplett gelingen, deshalb muss man den Wasserstoff wohl größtenteils um die halbe Welt schippern. Das sorgt für noch mehr Kosten und Verluste. Deswegen gibt es den Spruch: Wasserstoff ist der Champagner der Energiewende. Champagner ist kein Grundnahrungsmittel. Ähnlich sollte man es mit dem Wasserstoff halten: Immer erst mal schauen, ob es andere Möglichkeiten gibt, die billiger und effizienter sind.

Die gibt es nicht überall. Für klimaneutralen Stahl brauche ich Wasserstoff. Auch für verschiedene chemische Prozesse. In den nächsten zehn Jahren wird man ohne Wasserstoff auch kein klimaneutrales Flugzeug für die Langstrecke bauen können. Beim Pkw-Verkehr ist das batterieelektrische Auto ein wesentlich preiswerteres, effizienteres System. Das lade ich möglichst mit eigenem Solarstrom auf und habe dadurch wirtschaftliche Vorteile. Im Güterverkehr könnte Wasserstoff interessant werden, aber nur für sehr lange Strecken.

Nach dem Gaspreis steigt nun auch der Strompreis deutlich. Wann können wir mit sinkenden Stromkosten durch den Ausbau Erneuerbarer Energien rechnen?

Wer eine eigene Solaranlage hat, hat jetzt schon günstige Preise. Mein Elektroauto wird mit 85 Prozent Solarstrom aufgeladen. Deshalb habe ich hier keine gestiegenen Energiekosten. Das gilt auch für Menschen, die entsprechende Möglichkeiten beim Eigenheim haben. In der Mietwohnung oder bei Unternehmen mit zu kleinen Dächern geht das nur zum Teil oder gar nicht.

Wir sehen jetzt schon eine Preisstabilisierung durch die Erneuerbaren Energien, beispielsweise im Vergleich zu Frankreich – trotz der „billigen Kernenergie“, weil die Franzosen einen geringeren Anteil Erneuerbarer Energien haben. Der Anteil reicht aber auch bei uns noch nicht. Die Börsenstrompreise sinken dann deutlich, wenn Strom aus Erneuerbaren Energien den Bedarf größtenteils abdeckt. Die Zeiten sind aber noch überschaubar. Im Mittel liegen wir bei der Stromerzeugung erst bei 50 Prozent Erneuerbaren.

Viel hängt deshalb davon ab, wie schnell wir Erneuerbare Energien zubauen und große Zeitperioden mit Überschüssen haben. Wenn wir die Erneuerbaren Energien weiter so langsam ausbauen wie bisher, werden wir nächstes Jahr gerade mal die drei Kernkraftwerke ersetzen können. Wir müssen aber auch die fossilen Energieträger ersetzen. Das wird noch mal vier, fünf Jahre dauern, bis wir durch Erneuerbare Energien eine spürbare Entlastung sehen.

Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Herausforderungen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten?

Wir müssen extrem schnell klimaneutral werden. Wir sehen bereits die ersten Auswirkungen der Klimakrise. Viele sind schon entsetzt, was diesen Sommer so passiert ist. Wenn wir das nicht stoppen, werden in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten die Veränderungen noch viel extremer.

„Wir brauchen jetzt ein Hauruck“

Wir brauchen in allen Bereichen Veränderungen. Wir müssen die Mobilität klimaneutral machen. Das Verbrennerauto muss schnellstmöglich verschwinden. Wir müssen Wärme klimaneutral machen: Öl- und Gasheizung raus, Wärmepumpe rein. Die Energieerzeugungsmengen müssen dann durch Solar und Wind klimaneutral werden. Da starten wir von einem sehr niedrigen Niveau: Im Wärmebereich erzeugen wir noch über 70 Prozent mit fossilen Energien, im Verkehrsbereich sind es über 90 Prozent. Beim Gesamtenergiebedarf, also Strom, Wärme, Verkehr und Industrie, haben wir darum nur 20 Prozent Erneuerbare, also 80 Prozent, die wir ersetzen müssen – und das möglichst in den nächsten 15 Jahren. Deshalb brauchen wir jetzt wirklich ein Hauruck. Bremsen wie zehnjährige Genehmigungsverfahren müssen weg.

Wir brauchen auch die Bereitschaft der Bevölkerung, hier mitzumachen. Denn wir bekommen Probleme, wenn Menschen wegen Windrädern oder Veränderungen im Verkehrsbereich Sturm laufen. Weniger Verbrenner, mehr öffentlicher Verkehr heißt, dass ich mit dem Auto nicht mehr überall hinkomme. Wenn es vernünftige Alternativen gibt, müssen die Menschen das akzeptieren.

Unser Land wird sich dadurch verändern, auch optisch. Ich gehe davon aus, dass wir zwei Prozent der Landesfläche sowohl für die Solar- und die Windenergie benötigen. Aber wir haben fünf Prozent Verkehrsfläche mit Straßen zubetoniert. Das ist über einen längeren Zeitraum entstanden, sodass wir uns dran gewöhnt haben. Diesen Gewöhnungsprozess müssen wir jetzt überspringen und einfach – zack! – das Land verändern.

Für 19 Euro zum Ballermann? Geht nicht mehr!

Wir können nicht alles technisch lösen. Wir müssen die Zahl der Autos in Deutschland reduzieren, weil schon die Herstellung dieser Autos ein Problem ist. Wir müssen den Fleischkonsum reduzieren. Auch da geht es um Verhaltensstile. Genauso beim Urlaubsflug. Das kann man versuchen, klimaneutral zu machen. Aber Fliegen wird dann teurer. Mal für 19 Euro zum Ballermann, das können wir nicht durchhalten.

Sie sind am 10. November zu Gast auf unserem digitalen Campus beim Energietag von Sonepar. Worauf können sich die Besucherinnen und Besucher, die Zuhörenden bei Ihrem Vortrag freuen?

Ich werde einen Spannungsbogen schlagen. Viele kennen die Herausforderungen des Klimaschutzes noch nicht, denken, wir haben ja noch 30, 40 Jahre Zeit. Dass uns die Zeit in den Händen zerrinnt, muss man klar aufzeigen. Ich möchte aber nicht den Weltuntergang an die Wand malen, sondern Lösungen aufzeigen, damit wir ins Handeln kommen. Wir müssen verstehen, warum es schnell gehen muss. Dann schauen wir, was wir in den nächsten 15 Jahren machen können, um Deutschland voranzubringen. Also zuerst ein Blick in den Abgrund, dann ein Blick auf die Brücke, die vor uns liegt. Wenn wir die beherzt gehen, werden wir ein besseres Land haben. Diese Chancen möchte ich für alle klar aufzeigen.

Ganz herzlichen Dank, Prof. Quaschning.

Tipp:

Bei unserem Sonepar-Energietag am Donnerstag, 10. November, auf dem virtuellen Sonepar-Campus können Sie Prof. Volker Quaschning live erleben.

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2 Kommentare

  1. Pro Tonne hergestelltem Zement werden 590kg CO² freigesetzt.
    für einen m³ Beton bedarf es 350 kg Zement
    für ein mittleres Windkraftrad benötigt man 6000m³
    heißt also: auf ca 3m³ Beton kommen 590kg CO² (1t Zement) das entspricht bei obigem Windrad 1.180 t CO². Tolle Energiewende!

    Man sollte anfangen echten Umweltschutz zu betreiben und nicht immer nur den eigenen Umsatz ankurbeln.

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